27. Januar 2010

Artikel in der Süddeutschen Zeitung


SUEDDEUTSCHE ZEITUNG
22 August 2007



Tausend und ein Hotel

Touristenstädte vom Reißbrett verheißen
den Investoren hohe Gewinne und
den Urlaubern eine genormte, künstliche Ferienwelt.



Karl Poletti registriert zurzeit eine "sehr, sehr positive Stimmung" im Dorf. Der Gemeindepräsident des 1200 Einwohner zählenden Andermatt im Kanton Uri spricht von einer "Riesenchance". Nachdem in den vergangenen 15 Jahren rund 120 Arbeitsplätze verloren gegangen seien und die Jungen auf Arbeitssuche das Dorf verlassen mussten, sei nun jedermann gespannt darauf, wie genau das Touristenresort aussehen wird, das der ägyptische Investor Samih Sawiris direkt neben das Dorf Andermatt baut. 2000 Gästebetten, fünf bis sechs Hotels, 100 Appartements und 30 kleine Villen sind auf dem ehemaligen Armeegelände geplant, das sind fast dreimal so viele Betten wie bisher. Mit 500 bis 600 neuen Arbeitsplätzen wird gerechnet, die Andermatter Bevölkerung hat im März den Bauzonenplan mit einer Mehrheit von 96 Prozent angenommen. Es wird das größte einzelne touristische Bauvorhaben sein, das es im gesamten Alpenraum jemals gab.

Man kennt derlei Großprojekte bis dato eher aus Dubai oder vom ägyptischen Roten Meer. Doch der Bau von stadtgroßen Urlaubskomplexen setzt sich immer stärker auch in Europa durch. Tui hat im Juni ein Hoteldorf auf Sylt eröffnet und machte vor kurzem den Kauf eines ganzen Dorfes in der Toskana bekannt. Auf 11 Quadratkilometern soll dort bis 2009 ein Ferienresort für die verschiedensten Zielgruppen entstehen. Das hat einereits den Vorteil, dass Gästen auf kleinstem Raum vielfältigste Möglichkeiten und Dienstleistungen geboten werden. Für den Betreiber hat es vor allem den Vorteil, dass er alles, Qualität, Zugang und Sicherheit des Areals vollkommen zentral kontrollieren kann und durch Zusammenlegen von Verwaltung, Technik oder Einkauf viel Geld spart.

Das seien aber nicht einmal die wichtigsten Gründe, weshalb Investoren sich entscheiden, ein Resort zu bauen, sagt Andreas Hauser. Der wichtigste Grund sei, dass, "je größer etwas wird, desto größerer Profit möglich ist". Es gehe "weniger um die Einnahmen aus dem Tourismus, sondern um Immobilien- und Landspekulation". Hauser ist als Strategie- und Marketingberater für touristische Unternehmungen tätig. Zurzeit arbeitet er für die saudi-arabische Regierung an der Planung eines 4000-Betten-Resorts in Yanbu am saudischen Roten Meer. Für die Planung der an einem zwölf Kilometer langen Strandabschnitt errichteten Anlage wurde übrigens das Frankfurter Architekturbüro von Albert Speer engagiert. 


Die Saudis wollten es den Vereinigten Arabischen Emiraten nachmachen, sagt Hauser, nur eben auf ihre, etwas gemäßigtere und die kulturellen Gegebenheiten respektierende Art. An der bisher touristisch gar nicht erschlossenen saudischen Rotmeer-Küste sollen zunächst vor allem arabische Gäste urlauben, deswegen wurden die Zimmer sehr groß geplant und getrennte öffentliche Einrichtungen und Strände vorgesehen. Doch die Regierung wolle auch europäische Gäste haben, auch deshalb wurden die deutschen Planer engagiert. Hauser rechnet für den Anfang mit zehn bis fünfzehn Prozent ausländischen, eher kulturinteressierten Gästen, weniger reinen Strandurlaubern.

Wo immer auf der Welt so etwas entsteht, steht neben der touristischen Nutzung ganz klar der schnelle Investitionsgewinn im Vordergrund. Es funktioniert meist gleich: In strukturschwachen, aber landschaftlich reizvollen Gebieten, sei es nun in den Schweizer Alpen oder in Saudi-Arabien, wird Bauland extrem günstig gekauft. Schon allein durch die Ankündigung, ein großes Resort zu errichten, steigen die Grundstückspreise. Sobald dann Hotels, Restaurants, Golfplatz, Appartements und Villen errichtet sind, kann der Investor seine hohen Ausgaben in kurzer Zeit vor allem durch den Verkauf von Villen und Appartements vervielfachen. 

Samih Sawiris, Spross des reichsten Familienclans Ägyptens, brachte jüngst in der Neuen Zürcher Zeitung diese Strategie unverblümt auf den Punkt: "Wir kaufen immer Land, das tief bewertet ist, auf dem also noch nichts oder sehr wenig steht. Wir kreieren und realisieren zuerst auf einem Teil des erworbenen Landes Wert, damit der Rest des Landes, der uns auch gehört, später noch mehr Wert erhält." Wohl deshalb war es ihm wichtig, in Andermatt fast sämtliches vorhandenes Bauland, also mehr als eine Million Quadratmeter zu bekommen. Mit seiner Firma Orascom Hotels and Developement (OHD) hat Sawiris bereits 1990 die Touristenstadt El Gouna am Roten Meer realisiert, die heute 3000 Ganzjahresbewohner zählen soll. Auch in der Tala-Bucht in Jordanien wachsen zurzeit hunderte arabisch anmutende Häuserblocks von OHD aus dem Wüstensand und auf den Taba-Höhen am Sinai entsteht seit 2000 ein ähnlich großes Projekt wie El Gouna.

In Andermatt in der Schweiz warten die Leute unterdessen, dass es endlich losgeht. Wie genau Andermatt II aussehen wird, weiß noch niemand. Man nehme auf die rustikale Bebauung des bestehenden Dorfes Rücksicht, sagt Gemeindepräsident Poletti. 18 Architektenteams sind mit den Planungen befasst. Jeden Monat müssen sie der Bevölkerung Bericht erstatten. 2014 soll alles fertig sein. Nachteile sieht Poletti erst einmal kaum. Bei dem bisschen übrig gebliebenen Bauland müsse man halt rigoros darauf achten, dass es nur für Erstwohnungen ausgewiesen wird und nicht für den Großteil des Jahres leer stehende Ferienwohnungen. Zwar wolle sich Sawiris das Recht sichern, die geplanten 100 Appartements zu vermieten, wenn ihre Besitzer gerade nicht da sind. Wie das aber funktionieren soll, weiß auch der Gemeindepräsident noch nicht.


Hans Gasser





Management Consultant und interkultureller Trainer:
Andreas Hauser an der Waterfront
in Yanbu, Saudi-Arabien


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